1. An der Belastungsgrenze
2. Historische Prägung: Katastrophen und Gehorsam
3. Bildung oder Bevormundung? Wie das Schulsystem Menschen kleinhält
4. Zukunft wagen? Lieber nicht! Warum Deutschland auf Nummer Sicher geht
5. Vorschriften anstatt Verantwortung - Ein deutsches Erfolgsmodell?
6. Die Scheu vor Konfrontation - Wenn klare Haltung fehlt
7. Woran fehlt es?
8. Das Land der Dichter, Denker ... und Angsthasen
1. AN DER BELASTUNGSGRENZE
Charakter ist wie ein Reisepass – er zeigt sich an Grenzen. In Deutschland befinden wir uns gerade an einer Belastungsgrenze - im Rahmen der Neuwahlen am 23. Februar geht es um so viel mehr als nur eine „Wahl“. Es geht um Haltung, um Rückgrat, um die Werte, die unser Land vertritt. Aber wo bleiben hinsichtlich der braunen AfD-Welle, die über unser Land schwappt, Zivilcourage und empörte Aufschreie wie von Heidi Reichinger, die kürzlich mit ihrem Ausbruch im Bundestag viral ging und für einen Aufschwung der Linken sorgte?
2. KRIEG, MAUERN & GEHORSAM: WIE GESCHICHTE UNSER RÜCKGRAT FORMTE

Deutschland widerfuhren in seiner Geschichte extreme Brüche: Zwei Weltkriege, das Dritte Reich, die DDR-Diktatur. Mehrfach erlebte Deutschland das Totalversagen politischer Systeme. Sicherheit, Stabilität und „bloß nichts falsch machen“ sind tief verwurzelt in der deutschen Mentalität. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde in Deutschland ein System wiederaufgebaut, das nach dem beschämenden Hitler-Erbe auf extremer Beobachtung von Außen, Konsens, Kontrolle und einem starken Sozialstaat basierte. In der 1949 gegründeten DDR herrschten autoritäre Strukturen, die individuelles Denken unterdrückten und Entgleisungen hart abstraften. Beides förderte Angepasstheit anstelle von Widerstandsgeist.
Die Erfahrungen des Nationalsozialismus und der DDR-Zeit hinterließen ein kollektives Bedürfnis nach Sicherheit und Konformität: Das NS-Regime lehrte die Menschen die Gefahr von Abweichungen, während die DDR mit ihrer allgegenwärtigen Überwachung durch die Stasi politischen Konformismus erzwang. Gehorsam war eine Überlebensstrategie. Sich politisch zu engagieren oder zu opponieren, war riskant und wenig lohnend. Diese Mentalität wurde über Generationen weitergegeben.
3. BILDUNG ODER BEVORMUNDUNG? WIE DAS SCHULSYSTEM MENSCHEN KLEINHÄLT

Auch das deutsche Schulsystem ist sehr stark auf Hierarchie und Kontrolle ausgelegt. Insbesondere der Bildungs- und Beamtensektor zieht oft genau jene Menschen an, die lieber angeleitet werden und auf Autoritäten hören, anstatt eigenständig Verantwortung zu übernehmen. Im gesamten Beamtenapparat zeigen sich starre und ängstliche Strukturen.
Schüler:innen werden bis heute nicht unbedingt zu eigenständigem Denken oder Risikobereitschaft erzogen, sondern zur Einhaltung von Regeln und der Definition des eigenen Werts über Noten. Und obwohl „Trial and Error“ eigentlich zu einem gesunden Lernen dazugehört, herrscht in Deutschland eine riesige Angst vor Fehlern. So fördert man Sicherheitsdenken statt Experimentierfreude. Auch, wenn es mittlerweile viele alternative Unterrichtsformen gibt, bleibt das alte System gestärkt - durch konservativen Frontalunterricht, die zeitliche sowie räumliche Beschränkung von Unterricht und das Notensystem. Unterrichtsinhalte sind längst nicht mehr zeitgemäß, aber weitestgehend unverändert und Schüler:innen lernen weiterhin Dinge, die sie in ihrem Alltag nicht anwenden können. Alternative Schulformen wie Waldorf- oder Montessorischulen bleiben verpönt.
Lehrkräfte als „Beamten des Staates“ dürfen sich politisch nur bedingt äußern, demonstrieren ist ihnen verboten. Was sie genau vermitteln dürfen, wofür sie in ihrer Position eigentlich in welchem Maße stehen und stehen dürfen, wissen sie aber nicht. Ein zentrales Problem dabei ist die massive Fehlinterpretation politischer Neutralität. Lehrer:innen dürfen nicht indoktrinieren, sind aber dazu verpflichtet, demokratische Werte zu vermitteln. Doch oft wird Neutralität mit Passivität verwechselt, was auch aufgrund der internalisierten Paragrafenhörigkeit dazu führt, dass selbst offensichtliche Bedrohungen für die Demokratie nicht benannt werden.
Deshalb verhalten sich die meisten trotz des eindeutigen Lehrauftrags zur Vertretung demokratischer Werte neutral , selbst wenn es dringend Klartext bräuchte. Auch deswegen lassen Schulkollegien die fragwürdigen und völlig unsinnigen Qualitätsprüfungen der Bezirksregierung über sich ergehen. Die Checklisten zur Überprüfung von gutem Unterricht, die Bewertungskompetenz der Prüfer:innen und die anschließenden Ergebnisse sind nichts weiter als eine Illusion der Messbarkeit und dienen letztendlich mehr der Kontrolle als irgendwelchen ernstzunehmenden Verbesserungen.
Ein erschreckendes Beispiel ist momentan das Verhalten der Kölner Bezirksregierung, die Schulen unter Druck setzt, politische Podiumsdiskussionen abzusagen, wenn kein Vertreter der AfD eingeladen wird. Dabei wird ignoriert, dass die AfD in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet wird – ein klares Zeichen für die demokratiefeindlichen Tendenzen. Durch diese Fehlinterpretation von Neutralität wird letztlich politisch stark beeinflusst: Indem man Rechtsextremen eine Plattform bietet, werden die Grenzen des Sagbaren immer weiter verschoben und antidemokratische Ideologien normalisiert.
4. ZUKUNFT WAGEN? LIEBER NICHT! WARUM DEUTSCHLAND AUF NUMMER SICHER GEHT
Deutschland ist heute ein wohlhabendes Land mit einem starken Sozialstaat. Viele Menschen haben viel zu verlieren – also vermeiden sie Risiken. Deutsche sind richtige „Gründungsmuffel“, schließlich ist die Angst vor Misserfolg groß. In der Bundestagswahl 1957 erreichte Konrad Adenauer mit dem Wahlslogan „Keine Experimente“ eine historische Stimmenmehrheit für die CDU/CSU von über fünfzig Prozent und sorgte für eine grundlegende politische Weichenstellung für die damals noch junge Bundesrepublik.

Nach wie vor wirbt die konservative Partei insbesondere mit „Sicherheit“ für Deutschland. Also – bloß nicht in die Unsicherheiten wagen und in altbekannten Strukturen verharren. Immerhin haben die Deutschland fast sechzig Jahre gut getragen. Auch deswegen setzt die CDU auf Wahlplakaten wahrscheinlich auffällig häufig Doktortitel ein. Für eine Wählerschaft, in der akademische Abschlüsse hohes Ansehen genießen, vermittelt sie damit Seriosität, Fachkompetenz sowie Autorität und grenzt sich gleichzeitig von Parteien ab, die stärker auf soziale Herkunft setzen. Ironischerweise hat die CDU selbst eine lange Geschichte an Plagiatsaffären, weswegen diese allzu demonstrative Zurschaustellung ein wenig amüsiert. Doktortitel sind für viele jedenfalls beruhigender als Tatkraft. Lieber verwalten als gestalten. Lieber auf die nächste Krise reagieren als aktiv gegensteuern.
5. VORSCHRIFTEN STATT VERANTWORTUNG – EIN DEUTSCHES ERFOLGSMODELL?
Deutschland war historisch gesehen immer stark hierarchisch organisiert – vom preußischen Beamtenstaat über die NS-Regierung bis zur Bürokratie der Bundesrepublik. Diese Tradition hält sich hartnäckig. Auch deshalb verlassen sich viele Deutsche auf Institutionen, anstatt Eigeninitiative zu ergreifen. Deutsche sind schließlich nicht nur Weltmeister:innen im Fußball oder Handball - sondern insbesondere im Befolgen von Vorschriften, oft ohne sie zu hinterfragen. Kein Wunder, bei dem historischen Erbe. Noch vor weniger als hundert Jahren führte das nämlich unter Umständen zu einem grausamen Tod! Bis heute gibt es daher ein hohes Maß an Ordnung, aber auch an Unbeweglichkeit. Anstatt Verantwortung zu übernehmen, verstecken sich viele hinter Vorschriften. Hier kann man aber wenigstens immer die unübersichtliche Bürokratie vorschieben. Man denke nur mal an die verkomplizierten Fahrkartenautomaten der Deutschen Bahn! Wieso einfach, wenn es auch schwierig geht?
6. DIE SCHEU VOR KONFRONTATION – WENN KLARE HALTUNG FEHLT

Demokratie lebt von Debatte und Konfrontation. Doch in Deutschland wird Harmonie bevorzugt. Die deutsche Politik ist eher eine Art Verwaltungsakt, kein Kampf um Werte: Politiker:innen vermeiden klare Positionen, werfen mit Worthülsen und leeren Floskeln nur so um sich. Die einen, weil nichts dahintersteckt, die anderen, weil sie niemanden vor den Kopf stoßen wollen. Und weil die Parteien dann doch irgendwie lieber gut dastehen wollen, haben alle Angst, sich der AfD oder auch anderen extremistischen Politiker:innen offensiv zu stellen. Nachher verprellt man noch Wahlstimmen.
Auch die deutschen Medien und die Öffentlichkeit sind oft zu vorsichtig, um klare Ansagen zu machen. Man denke nur an Elon Musks, der eine Gastbeitrag in der Welt am Sonntag, obwohl er deutlich rechtsextreme Positionen vertritt. Ein weiteres Beispiel für diese paradoxe Neutralität ist die Bildungsmesse Didacta, auf der die AfD einen Stand einrichten durfte. Eine Veranstaltung, die eigentlich demokratische Werte stärken sollte, bietet einer Partei eine Bühne, die diese Werte aktiv untergräbt. Unter dem Deckmantel der politischen Vielfalt und Neutralität wird dazu beigetragen, dass radikale Stimmen überproportional Gehör finden.
7. WORAN FEHLT ES?
Deutschland könnte von anderen Kulturen und Ländern lernen, um aus dieser politischen und gesellschaftlichen Starre herauszufinden. Vor allem in Frankreich ist die Bereitschaft zu öffentlichen Protesten und Streiks traditionell hoch. Politische Debatten werden oft leidenschaftlich geführt, ohne dass sofort die Angst besteht, „zu weit zu gehen“. Deutschland hingegen neigt dazu, unangenehme Themen zu vermeiden oder hinter bürokratischer Sprache zu verstecken, dabei sind Meinungsverschiedenheiten oft produktiv und notwendig. Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung geben 28 Prozent der Deutschen an, politische Diskussionen komplett zu vermeiden, um Streit zu entgehen.
Skandinavische Länder und die Niederlande zeichnen sich durch eine hohe Innovationsbereitschaft und Offenheit für Reformen aus. Deutschland bräuchte einen flexibleren Umgang mit Veränderung, gepaart mit einer positiven Fehlerkultur anstatt ungeeignete Menschen Reformen beschließen zu lassen und an veralteten Strukturen festzuhalten – sei es im Bildungssystem, in der Verwaltung oder in der Wirtschaft.

In Italien oder in Teilen Lateinamerikas gibt es eine starke Tradition des zivilen Ungehorsams. Wenn Regierungen oder Institutionen undemokratische oder ungerechte Maßnahmen ergreifen, organisieren sich Menschen spontan, protestieren lautstark und setzen sich aktiv für Veränderungen ein. In Deutschland fehlt oft diese Dringlichkeit – Probleme werden zwar erkannt, aber selten außerhalb von geplanten Demonstrationen mit vollem Engagement bekämpft. Im direktdemokratischen System der Schweiz können Bürger:innen politische Entscheidungen aktiv mitzugestalten. Eine Kultur des kritischen Hinterfragens von Autoritäten stärkt die Eigenverantwortung der Bürger:innen. In Ländern wie Singapur, Kanada oder Japan haben Politik und Verwaltung wesentlich pragmatischere Ansätze, der Fokus liegt auf praktikablen Lösungen. In Deutschland dominiert oft ein akademischer, theoretischer Diskurs, der wenig Raum für unkonventionelle, schnelle Ansätze lässt.
Portugal und Neuseeland sind bekannt für ihren starken gesellschaftlichen Zusammenhalt und eine ausgeprägte Solidarität innerhalb der Gesellschaft. Gerade in Krisenzeiten ist es wichtig, dass Menschen sich nicht nur als Einzelne oder als Teil ihrer jeweiligen Blase begreifen, sondern Verantwortung für das Gemeinwohl übernehmen.
8. DAS LAND DER DICHTER, DENKER ... UND ANGSTHASEN
Deutschland hat ein massives Problem mit mangelnder Zivilcourage, was sich in einer tiefen Angst vor Konsequenzen und einem übermäßigen Bedürfnis nach Sicherheit widerspiegelt. Doch gerade in Zeiten, in denen die Demokratie unter Druck steht, braucht es klare Kante. Die Deutschen haben zweifelsohne große Stärken: Sie sind gründlich, strukturiert und leistungsfähig. Aber genau diese Stärken schlagen oft ins Negative um: Sicherheit steht über Veränderung, Hierarchie über Eigenverantwortung, und Angst über Mut.
Manche sagen, Deutschland sei das Land der Dichter und Denker – es wäre schön, wenn wir uns auch mal wieder ans Handeln erinnerten. Demokratie lebt von Bewegung. Also, Deutschland: Mach doch endlich mal einen großen Schritt nach vorne, bevor der Beton fürs starre Denkmal ganz getrocknet ist!
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